Literaturcafe Kopf

Frieder Döring

Frieder Döring, geboren 24.12.1942, Hautarzt in Troisdorf. Mehrere Gedicht- und Prosabände im Wolkenstein Verlag Köln, zuletzt „Dirty Kitchen, ein Männerkochbuch“ 1995; „Mit Haut und Haaren“ 1996. „So ganz andere Kulturen“ (Hrsg. von F. Döring, Berichte, Geschichten und Gedichte über Einsätze beim Komitee „Ärzte für die dritte Welt“, 1997. Zusammen mit J. Zierau Libretto des „Spellbähn“-Singspiels „Das zweite Gesicht“, 1999. „Überall Menschen!“, So ganz andere Kulturen Bd.II, 1999, „Dreckige Trips“ 2000 zusammen mit Brune, Schüssler.

Der Alte

– Es ist nix besonders Unwahrscheinliches daran, dass wir hier am Feuer sitzen an einem Ort, den du seit deiner Kindheit schon gesucht hast, und an dem ich dein Kommen erwartet habe, weil ich wusste, du würdest dran bleiben. Es ist nix Irrationales, weil es doch eingebaut ist in unsere Programme, dass der, der geduldig und konsequent genug sein Ziel verfolgt, es schließlich auch erreicht. Jetzt bist du da. Jetzt sag mir, was du von mir willst, nachdem du mich gefunden hast. – – Hallo, Mann, ich find es trotzdem zauberhaft, als ob man, wie im Halbschlaf, Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden kann, so geht’s mir jetzt. Als Erstes will ich deinen Namen wissen, dein Alter, deine Herkunft, deine Lebensgeschichte. Wer ich bin, weißt du ja, wenn du mich schon so lange beobachtet hast. –
Also, das ist zuviel auf einmal und geht so nicht. Du kennst doch das Schritt-um-Schritt-Prinzip. Du kriegst was von mir – ich krieg was von dir. Ganz einfach. Zuerst der Name: hab ich keinen! Oder zu viele, je nachdem. In der alten Zeit hatten wir jeder ein Totem, keinen Namen. Später kamen weitere Totems hinzu, noch später auch diverse Bezeichnungen, die ihr als Namen versteht, die aber nix weiter sind, als Zusammenfassungen oder Symbole von Totems. Noch später Zusammenfassungen oder Symbole von solchen Namen, schließlich deren Kürzel, und bald wird’s in Zahlen übergehen, weil ihr euch bald nur noch mit diesen verständigen könnt. Also, was soll ich dich mit all den Begriffen belasten. Du brauchst ein Etikett, also nenn mich – Necro. Von Neandertaler und Cro-Magnon, der Kombination, nach der du immer gesucht hast und die es gibt, wenn auch nicht mehr in allzu vielen Exemplaren. Außerdem erinnert dieses Kürzel daran, dass wir in der alten Zeit alle noch Schwarze waren, out of Africa, du kennst das, und dass ihr Blass-Mutanten eine sehr junge, höchstens 6000 Jahre alte, und sehr bald wieder verschwindende Abnormität seid.
Woran zu erinnern mir wichtig erscheint, zumal meine mütterliche Rasse, die Neandertaler, eine viel längere Erfolgsgeschichte von ca. 200.000 Jahren aufzuweisen hat. Nun gut, also es bleibt bei Necro. Und jetzt bist du dran mit Name, Alter, Abstammung, Geschichte. Step for Step – nach den Regeln. Denn obwohl ich dich länger kenne, als du dich selbst, ist es das Eine, davon zu wissen, und das Andere, es aus deinem Mund zu hören. Leg los! – – Na, das mit den vielen Namen kann ich dir auch bieten. Meine Eltern haben mir fünf Vornamen verpasst. Und wenn wir die nach deiner Methode analysieren und die Kürzel in Vollnamen, die Zusammenfassungen in Einzelnamen, die Totemsymbole in ihre Ursprünge zurückverwandeln, was sicher spannend wäre, aber jetzt zu lange dauern würde, dann käme ich vielleicht nicht ganz auf deine Größenordnung, aber annähernd, denn die Namensevolution ist sicher nicht viel anders gelaufen, als die der Rassen und Geschlechter.
Aber du brauchst wohl auch nur ein Etikett, mit dem du mich versehen und wiedererkennen kannst. Also nenn mich einfach – Melo. Das steht für Melodram und Mischmasch, weil jeder Mischmasch ein Melodram ist, und irgendwie jeder von uns ist auch ein Mischmasch, z.B. aus Frau und Mann und darüber hinaus aus hunderten von Geschlechtern. Darüber weißt du besser Bescheid als ich. Aber über eine Mischmasch-Geschichte möchte ich von dir gerne noch was hören. Nämlich, wie das zuging, als die Cro-Magnons die Neandertaler aus ihren angestammten Revieren hier herum vertrieben haben, und wie es zu der Vermischung kam, aus der du stammst, und die von einigen Humangenetikern, speziell aus dem Bonner Raum bestritten wird. –
– Du hast mir noch gar nicht ausführlich geantwortet, außer mit deinem Nick-namen, den ich auch nur so melo-melo finde, aber ok, step-for-step.

Jetzt erst die Geschichte der Ursupation.Wir, die Sippe vom Neandertal, zu der ich mich mehr zugehörig finde, als zu der väterlichen, waren die Älteren und Weiseren. Wir lebten hier im Bergischen über mehrere Eiszeiten hinweg seit mindestens hunderttausend Jahren in vollem Einklang mit der ziemlich rauen Natur. Wir waren und sind die einzigen echten Europäer. Unsere ganze Spezies ist hier in Old Europe entstanden und von der alten Göttin Evolution aus dem Frühmenschen Homo Erectus herausgemeißelt worden, während ihr in Zentralafrika aus diesem hervorgingt und erst sehr spät in der Geschichte auftauchtet, geschweige denn nach Europa kamt. Dann allerdings mit der besseren Waffentechnik und der brutaleren Überlebensstrategie. Wir waren aber nicht nur die ersten Europäer, sondern eigentlich die ersten richtigen Menschen überhaupt, denn wir waren die Entdecker der Transzendenz!

Nicht der Handwerksgebrauch, die Nutzung des Feuers, der aufrechte Gang, die Sprache sind das entscheidende Kriterium gewesen, denn das gibt’s bei vielen Tieren auch, – sondern die Entdeckung der Transzendenz und damit des Ich-Bewußtseins, des Vergänglichkeits-Bewußtseins und des Bewußtseins für über den Tod hinausreichende Energien waren die Kriterien des echten Menschseins, denn das gibt’s bei keinem Tier. Wir haben das entdeckt, haben die ersten rituellen Bestattungen gemacht, haben die religiösen Kulte entwickelt, haben uns mit dem Bewusstsein und den Produkten von Phantasie ausgestattet, haben dabei Magie gelernt und weiterentwickelt, und wir haben das an unsere Eroberer und Mörder weitergegeben. Deswegen seid ihr jetzt so wie ihr seid: Phantasiebegabt, mitleidsfähig, sozial interessiert, aber auch im Zweifelsfalle egoistisch und brutal bis zum bitteren Ende, wenn es um vermeintliche materielle oder immaterielle Vorteile des Einzelnen geht.

Und dann habt ihr euch doch noch in eine genetische Falle begeben. Die Falle der Vermischung mit unseren Frauen, die lange bestritten wurde, nun aber bestätigt ist durch den Fund des Mischlingsskelettes in Portugal. Ja, ihr wart zu der Zeit vermutlich noch gar nicht in der Lage, den Zusammenhang zwischen euren Vergnügungen und eurer Fortpflanzung zu erkennen.

Die Mondin

Als uns die Mondin
Auf die Schliche kam
Waren wir gerade dabei
Uns zu erkennen
Im Dunkeln dieser Winternacht
Sahen die Hände manches
Mehr als wir gedacht
Dass es zu sehen gäbe
Mondin kam und schaute uns
Blinkernd über Gliedern
Hob der dunklen Decke Zipfel
Glitzerte auf nackter Haut
Zwinkernd mit gesenkten Lidern
Lichreflexend uns verhexend
Als wir uns verkriechen suchten
Aneinander eng und fest
Tasteten die Schimmerfinger
Uns in jeder Biegung ab
Bis uns wohlig dieses Streicheln
Kühlte überhitztes Blut
Mondin bleib bist jetzt willkommen
Nichts mehr zu verbergen hier
Hast das in die Hand genommen
Mach nur weiter während wir
Liegend und genießend
Uns verwöhnen lassen
Von der Fülle zarter Lichter
Auf der hellbehauchten Haut
Als uns die Mondin
Auf die Schliche kam
Hat sie uns gleich getraut