Dieter Drechsler
Dieter Drechsler, geboren in Schleswig-Holstein,
wuchs in Kropp, Dortmund, Kerpen im Rheinland und endlich in Köln auf. Dort erlernte er den Beruf des Medientechnikers.
Bereits ab 1980 verfasste er Beiträge für Fachzeitschriften und begann eine intensive
Zusammenarbeit mit Regisseuren und Filmschaffenden, denen er technisch zur Seite
stand. Ferner verfasste er Fachbeiträge, Produktstudien, Übersetzungen und Dokumentationen
für internationale Unternehmen. Mit dem Roman „Im Bann der Schwerkraft“
präsentierte er seine erste freie literarische Veröffentlichung.
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Ein Unfall im Labor (Leseprobe aus "Seestücke")
Nichts auf der Welt scheint die Zweisamkeit in dem Motorboot stören zu können, das sich sanft in der leichten Dünung des Ligurischen Meeres wiegt. Eine späte Abend-sonne glitzert auf den Wellen und überzieht den Bootsrumpf und die geröteten Gesichter von Nerina und Leandro mit bunten Kringeln.
Leandro rückt etwas näher zu ihr heran und legt seinen Arm schützend um ihre Schultern. »Ist dir nicht zu kühl?«
Sie schüttelt leise ihren Kopf, und er beobachtet fasziniert, wie dabei die Salzkristalle des getrockneten Meerwassers auf ihrer Haut im Sonnenlicht funkeln.
»Das hat sich seit dem Unfall total geändert.«
»Ach ja«, seufzt Leandro. »Ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt.« Er sieht sie aufmunternd an. »Möchtest du vielleicht etwas essen?«
Nerina schaut melancholisch zu ihm hoch, denn sie weiß, dass er nur ihren Abschied hinauszögern möchte.
»Du weißt doch, dass ich gut versorgt bin«, weist sie ihn mit sanfter, beinahe mütterlicher Stimme zurück und legt ihren Kopf an seine Schulter.
»Das mit dem Unfall ist nun genau fünf Jahre her«, stellt Leandro gedankenversunken fest, »und seit fünf Jahren wünsche ich mir, dass er nicht geschehen sein möge.«
»Ich versuche nicht mehr darüber nachzudenken«, antwortet Nerina mit einem leisen Tadel in ihrer Stimme, »aber es gelingt nicht immer.«
»Wir hätten das gentechnische Experiment mit dem riesigen Zackenbarsch nicht machen dürfen«, bricht es aus ihm hervor.
»Wäre es uns und unserem Institut gelungen, dann gäbe es weniger Hunger auf der Welt«, widerspricht Nerina sanft, »aber wer konnte denn ahnen, dass dieser Barsch das Aquariumglas einfach so zerbrechen konnte.«
»Ich glaube, der hatte einfach Angst vor deiner Spritze.«
»Jetzt im Nachhinein bin ich mir auch sicher, dass er sie mir gezielt aus der Hand schlagen wollte«, nickt Nerina zustimmend. »Erinnerst du dich, was das anschließend für ein Chaos war? Ich lag vom Schlag halb betäubt am Boden. Dann das herausströmende Wasser, die Glasscherben und der Barsch in panischer Angst auf mir. Erst als mir die Kollegen zur Hilfe kamen, bemerkte ich, dass die entleerte Spritze mit dem Gen-Cocktail anstatt in seinem Schwanz in meinem Oberschenkel steckte.«
»Hätte man damals nur gewusst, was das für Folgen hat, dann … «,
Leandro winkt resigniert ab und schweigt.
Nerina rückt näher zu ihm heran und legt beide Arme um ihn. »Zum Glück hatten wir nicht mit Oktopussen experimentiert. Stell dir mal vor, ich würde dich jetzt mit acht Armen umarmen«, albert sie, um ihn aufzuheitern und haucht ihm einen Kuss auf die Wange.
Leandro erwidert still ihre Zärtlichkeit, um dann doch mit ihr Kopf an Kopf der untergehenden Sonne zuzusehen.
Rotgoldene von den Wellen tausendfach reflektierte Lichtfinger umhüllen die Beiden, ehe sie beinahe übergangslos verlöschen und das Meer in einer bleigrauen Dunkelheit versinken lassen.
Nerina löst behutsam ihre Umarmung, »Ich muss wieder zurück«, haucht sie, und verabschiedet sich mit einem letzten Kuss.
Leandro nickt und sieht ihr wehmütig zu, wie sie sich rücklings ins Wasser gleiten lässt und mit einem kraftvollen Schwung ihrer Schwanzflosse in der Tiefe verschwindet.
Der Avatar
»Schon wieder Freitag!«, seufzt Almut, während sie den Einkauf in den Kühlschrank räumt.
Dabei wird ihr bewusst, dass auch diese Woche wieder einfach so vergangen war und in ihrer Erinnerung keine besonderen Spuren hinterlassen hat.
OK, am Wochenende waren sie und Bert wieder einmal um den See gewandert und sind wieder einmal im „Schlösschen“ eingekehrt und haben dort wieder einmal zu Abend gegessen. Aber das haben sie schon so oft gemacht, dass es mittlerweile zur ihrer Eheroutine dazugehört.
»Eheroutine, das hört sich genauso wie Ehepflichten an«, wiederholt Almut ironisch in Gedanken das Wort und muss dabei an den kommenden Abend denken.
Früher, als sie noch keine Kinder hatten, alberten sie mit solchen Begriffen herum und gaben damit sogar vor den noch unverheirateten Paaren an. Bis sie so nach und nach von der Realität eingeholt wurden.
Am darauffolgenden Montag, Bert war schon seit einer ganzen Weile zum Büro unterwegs, klingelt es an der Türe. Besuch oder eine Lieferung hat Almut nicht erwartet und rannte daher wie immer in einer verblichenen Jogginghose und einem ausgeleiertem T-Shirt herum.
Es klingelt wieder. Etwas unwillig öffnet Almut die Türe und sieht in das strahlende Lächeln ihrer Freundin Emelie, die ihr zwei Kisten mit Stiefmütterchen entgegen streckt.
»Emelie, Du?«, Almut zeigt entschuldigend auf ihr Outfit. »Ich habe nicht mit einem Besuch gerechnet«.
»Na und?« antwortet Emelie und zieht dabei amüsiert ihre Augenbrauen hoch. »Wo darf ich die Stiefmütterchen hinstellen? Ich habe viel zu viel gekauft und hoffe, dass du im Garten noch eine Lücke für sie hast.«
Almut Garten ist nicht groß, aber gemeinsam fanden sie dennoch sonnigen Platz für die überschüssigen Blumen. Anschließend setzte Emelie sie so dicht an dicht in die Erde, dass ihre Blüten sich wie zu einem bunten Teppich vereinten.
»Das sieht einfach toll aus!«, freut sich Almut und rückt Tisch und Stühle auf der Terrasse zurecht. »Komm! - Du setzt dich jetzt hier hin, damit du dein Werk genießen kannst, und ich mache uns einen Tee.«
Es war nicht nur dem anregenden Tee geschuldet, dass Emelie lebhaft von ihrem Mann und den gemeinsamen Unternehmungen erzählte, während Almut immer schweigsamer wurde.
Emelie runzelt die kritisch ihre Stirn. »Sag mal, was macht ihr denn so? Du sagst ja gar nichts.«
Almut sieht ihre Freundin einige Sekunden nachdenklich schweigend an, nimmt einen Schluck aus ihrer Tasse und atmet tief ein.
»Ach Emelie, - wir kennen nun uns schon fast ein Leben lang. Weißt du, wenn ich dich so erzählen höre, komme ich mir wie schon gestorben vor.«
Emelie sieht ihr Freundin erschrocken an.
»Hab ich was falsches gesagt?«
»Nein, Nein«, beeilt sich Almut zu sagen, »es ist … , ihr macht so viel Schönes, und bei uns - passiert nichts.«
»Nichts? Wie meinst du das?«
»Du weißt schon. Und das Eine hängt mit dem Anderem zusammen. Wir funktionieren nur noch. Was Neues hat in unser Eheroutine keinen Platz mehr.«
Emelie sieht ihre Freundin ernst an. »Mit diesem Problem bist nicht alleine. Hast du schon mal danach gegoogelt?«
»Ich und Internet?«, winkt Almut abfällig ab. »Wie soll ausgerechnet mir das Internet dabei helfen?«
»Dann such mal nach Talaman. Du weißt schon, vielleicht kann er dir helfen.«
Die Stiefmütterchen waren schon lange verblüht und durch Petunien ersetzt worden, ehe sich Amelie und Almut unter einem Sonnenschirm auf der Terrasse wiedersehen.
»Das ist aber ein hübsches Kleid!«, bemerkt Emelie Almuts sommerliches Outfit.
»Bert findet es auch«, antwortet Almut lächelnd, »Tee?«.
»Gerne. - Im Ernst, redet dein Mann bei deiner Garderobe etwa mit?«
»Ja, und er hat einen richtig guten Geschmack!«
»Wenn ich an unser letztes Treffen im Frühling denke. Da klang es anders!«
»Das ist lange her!«
»Wie schön, - was habt ihr denn gemacht?«
»Wir nichts!«, antwortet Almut mit einem hintergründigen Lächeln. »Ich hab mich mal mit Talaman unterhalten.«
»Ach, und?«
»Weißt du, nach unendlich langer Zeit bin ich mal nach meinen Wünschen gefragt worden.«
Emelie hat dem nichts hinzuzufügen und sieht ihre Freundin zustimmend nickend lächelnd an.
Almut rückt näher zu ihr heran.
»Es gibt nur ein klitzekleines Problem«, flüstert sie.
»Das wäre?«
»Alles ist gut. So wie früher. Nur wenn ich mit Bert zusammen bin, muss ich immer wieder an Talaman denken. Obwohl er als Avatar nur virtuell existiert, werde ich ihn einfach nicht mehr los.«
Emelie legt ihren Arm um ihre Freundin und zieht sie ein wenig zu sich heran.
»Da bin ich mir ganz sicher«, flüstert sie ihr ins Ohr, »jede Frau hat einen Talaman.«