Michael Blum
Michael Blum, Babyboomer des Jahrgangs 1960. Im dem einen Leben Berater, Trainer und Coach – im anderen Liebhaber von Literatur, Musik und Wein. Was ihn manchmal verzweifeln lässt ist, dass das Leben viel zu kurz ist, um all die guten Bücher noch lesen zu können. Abgesehen von frühen Gedichten, den Irrungen und Wirrungen der Pubertät geschuldet, ist er als Schreibender ein Spätberufener. Nach jahrelangem Studium der Variationsbreite menschlichen Verhaltens und der unterschiedlichen Spielarten, wie Männer und Frauen ihre Beziehungen gestalten, entsteht die Idee zu schreiben. Viel beruflich unterwegs, nutzt er nun die Reisezeit für seine Beobachtungen – stets auf der Suche nach neuen Geschichten. Und das Leben ist reich an Geschichten. Schließlich hat jeder einzelne Augenblick eine Vorgeschichte und einen Fortgang der äußeren und inneren Ereignisse.
Yes, yes
Sie hatte es gesagt; sie hatte tatsächlich ja gesagt!
Er hatte die Buchhandlung erst vor sieben Monaten entdeckt; gar nicht so weit entfernt von seiner Straße, nur etwas versteckt gelegen.
Und sie war ihm sofort bei seinem ersten Besuch kurz vor der Jahreswende aufgefallen.
Ihm war sofort klar gewesen, wo er für den Rest seiner verbleibenden Lebenszeit seine Bücher besorgen würde - in eben dieser Buchhandlung, und um genau zu sein: Bei ihr.
Es war ihm, als wenn er genau sie ein Leben lang gesucht hätte!
Er war jetzt 27 Jahre alt und fühlte sich noch unsicher in der Welt, vor allem auch in der Liebe.
Klar hatte er Fantasien und Vorstellungen über die ideale Partnerin und diese waren sicher nicht unbeeinflusst von einer Bilderflut, der man sich heutzutage gar nicht mehr entziehen konnte.
Man müsste schon ins Gebirge ausweichen und dieses sollte sich dann möglichst noch auf einer abgelegenen Inselgruppe erheben. Auch wenn man nur ein einziges in dieser Art eingeprägtes Bild mitnähme an diesen entlegenen Ort, es würde seine Wirkung entfalten.
Ob sie schön war, das wusste er nicht zu sagen - doch zweifelsohne besaß sie etwas, dass bei ihm vom ersten Augenblick an eine ungeheure Anziehung bewirkt hatte.
Und es war anders - anders als es in all den Jahren vorher gewesen war - es füllte ihn völlig aus, seine Gedanken kreisten um sie, ständig, bis in den Schlaf hinein.
Bislang war es mit dem anderen Geschlecht eher gewesen wie das Erreichen des zweiten Platzes bei einem Malwettbewerb in der dritten Klasse.
Immer hatte er Vergleiche mit einem hypothetischen Ideal hergestellt und den einen oder anderen Makel entdeckt; doch war das nie der Trennungsgrund gewesen. Wohl hatte hierbei stets seine Unsicherheit die entscheidende Rolle gespielt.
Vielleicht hatte er ja etwas Grundsätzliches verwechselt und die Unsicherheit ob der Beziehung war nur eine Widerspiegelung der eigenen Lebensunsicherheit; der Mechanismus dahinter die Übertragung des eigenen Inneren in die äußere Welt hinein.
Nun aber war er im Vorgefühl des ersten Platzes, im Vorgefühl eines Sieges über die Unsicherheit, im Vorgefühl, einen Platz bei jemandem gefunden zu haben, fernab von irgendwelchen hypothetischen Idealen.
Über viele Wochen hinweg hatte er Hinweise gesammelt, hatte versucht, kleinste Interessensbekundungsanzeichen bei ihr zu entdecken. Und ja - er hatte sie entdeckt!
Schon allein die Begrüßung - ihr unbeschreibliches Lächeln; wie sie ihm nahe gekommen war, wenn er in einer Neuerscheinung geblättert hatte; wie sie ihn förmlich ins Gespräch gezogen hatte
- und das nicht etwa in der Absicht, einen Buchverkauf einzuleiten; wie sie bei ihm stets länger verweilt war als bei anderen Kunden;
und immer wieder ihr Lächeln, wie sie ihm um einige Zehntelsekunden zu lang in die Augen geschaut hatte; wie sie den Bezahlvorgang ausgedehnt,
wie sie den Zeitpunkt der Buchübergabe hinauszögert hatte, weil ihr bewusst gewesen war, dass er dann gehen würde,
es keinen Grund mehr gab fürs Bleiben; wie ihre Blicke ihn beim Verlassen des Ladens begleitet hatten;
wie sie ihm einmal sogar zugewunken und ein "Bis bald dann" hinterhergerufen hatte.
Ihr schien es tatsächlich um ihn zu gehen - welch umwerfende Aufmerksamkeitsbekundung!
So war in den Monaten sein Mut gewachsen.
Alle vier Wochen war er mit einer Liste seiner Bücherwünsche in den Laden gegangen.
Er hatte an Sicherheit gewonnen.
Und dann hatte er eines Tages die Frage gestellt.
Und sie hatte "ja" gesagt!
Sie hatte "ja" gesagt - mit Freuden würde sie mal einen Kaffee mit ihm trinken gehn'. Wann man sich denn verabreden wolle;
gegen Ende der Woche sei es bei ihr günstig.
Der Samstag nach Geschäftsschluss sollte es sein. Dann habe man Zeit, sie müsse ja am nachfolgenden Tag nicht raus,
schließlich sei dann Sonntag.
Er muss sie wohl mit offenem Mund und großen Augen angeschaut haben, so hatte er sich zumindest später ihre Nachfrage erklärt,
ob mit ihm alles in Ordnung sei. Was er dann trotz kurzen Zögerns noch reflexartig abgenickt hatte.
Eine widerstreitende Mischung aus Glück und Angst hatte mit einem Mal Besitz von ihm ergriffen.
Lange schon hatte er sich vorgenommen, sie zu fragen - und jetzt hatte er eine Verabredung mit ihr.
Es erschien ihm im Moment komplett unwirklich.
Er hatte sich immer nur vorgestellt, wie er sie fragen würde, nicht aber wie es im Falle eines 'ja' weitergehen könnte. Auch war es,
als wenn es gar nicht er selbst gewesen wäre, der diese Frage gestellt hätte. Es hatte gewissermaßen aus ihm heraus gesprochen.
Aber jetzt war es raus - und sie hatte tatsächlich "ja" gesagt. Sie waren verabredet. Es gab einen Termin. Samstag. Man würde Zeit haben.
Wohl hatte er an jenem Tag auch einige Bücher erworben, eine gut gefüllte Umhängetasche zu sich nach Hause getragen.
Mit Büchern, da kannte er sich aus.
Er hatte die Bücher nicht ausgepackt.
Er war stolz auf sich.
Seine allabendliche Lesestunde fiel aus, konnte er doch nicht zu seiner gewohnten Konzentration finden;
immer wieder musste er einzelne Absätze lesen, weil er den Fortgang nicht verstanden hatte, bis er es schließlich ganz aufgab.
Mittwoch - Noch drei Tage - es bestand kein Zweifel - er war euphorisiert, kannte sich selbst nicht mehr.
Hatte Fantasien, wie sich schon bald sein Leben ändern würde.
Am Donnerstag war er mit einem seltsamen Gefühl aufgewacht. Er hatte am Vorabend mit sich und seiner liebsten Musik gefeiert,
hatte Freudentänze getanzt, sich eine komplette Flasche seines Lieblingsweines genehmigt und nicht eine einzige Zeile gelesen.
Ein fantastischer Abend! Er muss es wohl etwas übertrieben haben - zumindest erklärte er sich damit dieses seltsame Morgengefühl.
Nachdenklich wurde er, als sich dieses Morgengefühl auch den Tag über hielt,
der Kopfschmerz vergangen und von einer unangenehmen inneren Anspannung abgelöst worden war, wie er sie so nicht kannte.
Bei der Arbeit konnte er sich nicht konzentrieren, rutschte auf seinem Bürostuhl hin und her,
wie wenn er einen Bleistift in seinem Hinterteil stecken hätte und damit ein Bild auf die Sitzfläche malen müsste. Sämtliche Selbstappelle, sich doch endlich zu beruhigen, schienen zu versagen. Es war etwas außer Kontrolle geraten.
Am Freitag dann hatte sich die Anspannung ein wenig gelegt und die Tatsache der getroffenen Verabredung mit ihr war irgendwie unwirklich geworden. Er versuchte, sich darin zu bestärken, dass es schon am morgigen Tage soweit sei und er sich tatsächlich außerhalb des Buchladens mit ihr treffen würde, schließlich hatte sie "ja" gesagt.
Da überkam ihn der Zweifel.
Warum eigentlich sollte sie sich ausgerechnet mit ihm treffen wollen?
Was konnte er ihr schon bieten?
Bestimmt hatte sie, ganz der nette Mensch, ihn nach seiner Frage nicht enttäuschen wollen.
Vielleicht stand sie unter geschäftlichem Druck und war nur so entgegenkommend gewesen, um ihn als Kunden nicht zu verlieren.
Sowas kam ja schließlich vor.
Oder sie hatte sich einen Spaß daraus machen wollen, um es nachher den Freundinnen berichten zu können,
dass man ordentlich was zum Lachen habe.
Vielleicht war sie aber auch schwierig als Mensch, kompliziert und nicht aushaltbar im Miteinander
und hatte von daher eine Art Druck, bei ihrer Partnerwahl in einer unteren Liga ihr Glück zu versuchen.
Vielleicht aber hatte er alle Anzeichen vollständig missverstanden und sie fand ihn zwar irgendwie sympathisch
- allerdings ohne jegliche Beziehungsambitionen.
So trieben ihn seine Gedanken. Unfähig sein Denken zu lenken.
Am Samstagmorgen hatte er kaum mehr eine Erinnerung an seine Euphorie von der Wochenmitte
- fest überzeugt davon, sich nur etwas eingebildet zu haben entschloss er sich, nicht zu dem Treffen zu gehen.
Sofort stellte sich bei ihm eine wohltuende Erleichterung ein.
Er hatte sich seine Unterlippe blutig gebissen.
Er nahm sich eins seiner neuen Bücher und stellte fest, wie gut er sich wieder konzentrieren konnte. Es würde ein angenehmer Lesetag werden.
Für den monatlichen Bücherkauf würde er in die andere Stadt fahren.
Etwas weiter zwar, aber durchaus machbar.
Das sollte einem ein gutes Buch schon wert sein...
Liebesunglück
Sie hatten sich bei dem Fest gegenüber gesessen, nicht gewusst, dass der andere eingeladen war.
Wie es sich gebührte, saßen sie bei dem Anlass neben ihren Lebenspartnern, er neben seiner Gefährtin,
sie neben ihrem Gefährten. Man hatte sich entschieden, weil es im Leben irgendwann eine Verbindlichkeit braucht.
Das ewige Suchen, dann jemanden finden, umkreisen und umwerben, das konnten nur Phasen im Leben sein aber nicht
das Leben selbst. Jetzt hatte man Beständigkeit mit dem festen Partner, ward stets als Paar eingeladen und hatte
schon seit Jahren eine gewisse Festroutine entwickelt - unverbindliche Fröhlichkeit war auf Kommando verfügbar,
genau wie man inzwischen über ein belangloses Themen-Potpourrie für viele Gelegenheiten verfügte. Die Kleiderwahl
des Partners für derartige Anlässe wurde schon lange nicht mehr ernsthaft kommentiert.
Und jetzt das – sie hatten versucht, zu vergessen und konnten nun, gegenübersitzend, den Blicken des anderen kaum
ausweichen. Wie lange hatten sie sich nicht gesehen? Vielleicht sieben Jahre - keine ganz so lange Zeit. Es hatte damals
nicht funktioniert mit ihnen - und das obwohl, oder vielleicht gerade weil, es da eine Wildheit gab; etwas, das sich nicht
bändigen ließ; etwas, dass ihnen einen Alltag vollkommen unmöglich machte; etwas, das sie erhitzte und sie überdrehen ließ;
fast schon fürchteten sie, nicht nur verrückt nacheinander zu sein, sondern regelrecht um ihren Verstand bangen zu müssen.
Es hatte sie zerrissen und nach nur drei Monaten manischen Miteinanders war es dann vorbei. Zu sehr hatte es an den Kräften
gezehrt; sie hatten sich dann leer gefühlt und nicht gewusst, wie sie sich wieder hätten auffüllen können. Die Depression kam
dann mit der Frage, wie es denn weitergehen solle; es hatte sich keiner von ihnen beiden festlegen wollen, hatte doch erst
die große Freiheit eine derartige Intensität zwischen ihnen entzündet. Und Entscheidungen bedeuteten das Ende der Freiheit.
Was ihnen geblieben war, das war die endlos große, heimliche Sehnsucht nach dem anderen, nie und niemandem erzählt,
weil unerzählbar - die Welt hätte es wohl nicht verstanden.
Die Zeit kann Wunden nicht heilen und mit der Erinnerung war auch der Schmerz geblieben und mit dem Schmerz die Frage,
ob es nicht doch einen Weg für sie hätte geben können.
Und jetzt saßen sie hier einander gegenüber, gepflegte Konversation betreibend, und sahen den Weg, den der andere gewählt
hatte. Jeder für sich wusste, dass der Weg ein vernünftiger gewesen war - es war nicht so, dass man seine Entscheidung bereut
hätte, aber das Manische, die Liebesexplosionen, das Unersättliche - das war aus ihren Leben verschwunden.
Ein Blick direkt zu Beginn des Festes hatte schon ausgereicht, so vertraut waren sie wohl noch miteinander - sie hatten
sich kurz verständigt, nichts davon zu offenbaren, dass sie sich von früher her kannten. Das war auch damals schon ihr
wunderbares Spiel gewesen, ihr Geheimnis vor der Welt.
Wohl war dann am Ende der Händedruck zur Verabschiedung etwas länger ausgefallen als nötig. Eine letzte Berührung, ein letzter Blick.
Vor dem Schlafengehen mit dem eigenen Gefährten würde man den Abend mit seinen Gästen noch ausgiebig analysieren und
zerpflücken und sich ein wenig rechtfertigen müssen, warum man denn so ungewohnt aufgedreht gewesen sei.
Dabei wäre man noch gerne für ein halbes Stündchen mit sich und einem letzten Gläschen allein gewesen.
Der Liebesrausch
Oh Gott – du bist in mein Leben gerauscht!
Und es war doch alles so schön einigermaßen in Ordnung!
Nicht das große Glück in der Totalen, wohl aber ein Stückchen davon, was ja weit besser ist als nichts. Eine schmale Spur Zufriedenheit, mal etwas weniger, zuweilen aber auch ein wenig mehr – mehr oder weniger halt.
Ich hatte mich so schön eingerichtet im Widerspruch: Hab ja genau so gut leben können, Basissicherheit; hin und wieder Glücksvorbereitung, man will ja schließlich noch was vom Leben, aber ohne die großen Entscheidungen, bloß kein „entweder – oder“; halt auf immer und ewig Glücksaspirant bleiben.
Und dann bist du einfach so in mein Leben gerauscht, hast alles durcheinander gebracht!
Wenn ich mich bei mir selbst für das Glück bewerben müsste – ich würde mich glatt durchfallen lassen, mir auch keine zweite Chance geben, hätte ich einfach nicht verdient. Können andere mehr mit anfangen, mit dem Glück.
Und dann rauschst du einfach so rein, bist wieder da, genau wie damals. Und das weiß ich ja noch ganz genau: Es ist kein Vorbeikommen an dir!
Der Rausch: mitgerissen sein und hinweg gefegt; ‚aus‘ der mittelmäßige Zukunftsplan; alles vergessen was zwischendurch war, das Zwischendurch war nur eine lange Pause; ohne Pause hätte der Rausch mich schließlich endgültig enterdet; alles löst sich auf; ich gebe mich hin, verliere mich, wo ich mich doch noch gar nicht ganz gefunden habe; eine Angst-Lust-Melange erfüllt mich.
Alles ist gut – oder wird gut – was aber nicht stimmt, wie ich weiß; ich kenne dich ja! Du ziehst mich rüber zu dir, kraftlos setze ich mich zur Wehr; ich blicke himmelwärts und fürchte den Sturz…
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„Es ist was es ist, sagt die Liebe…“ – oder vielleicht doch nicht? War doch alles in Ordnung, in der Zwischenzeit, in meinem kleinen bescheidenen Leben.
Mein Herz hämmert, mein Atem rast, meine Knie zittern; in einem Höllentempo ziehen Bilder von damals an mir vorbei:
Der Anfang, der mich umgehauen hat, die Monate der Manie, je weniger wir schliefen, desto euphorischer waren wir geworden, die Tage hatten 36 Stunden, das ganze restliche Leben schien viel zu kurz für all unsere Pläne; wo war bloß in den Monaten die ganze Energie hergekommen, eine unerschöpfliche Quelle schien uns zu versorgen. Wir pflückten die Tage und waren traurig, nicht auch des Nachts im Traume beieinander sein zu können. Hoch waren wir geflogen, zu hoch vielleicht.
Irgendwann war es dann gekippt - wir hatten uns aneinander erschöpft und der Absturz war gekommen. Am Ende dann jeder für sich.
Wieder bist du nun in mein Leben gerauscht; ein gewaltiger Schwindel packt mich und lässt mich taumeln.
Im Innehalten voranzustürmen – das ist’s, wonach mir zumute.